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Stand: 17. Dezember 2008
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Boethius. Trost der Philosophie
 
Boethius. Trost der Philosophie
 
"Herr Blueher: Seit ich mich dem Rätsel meiner Metamorphose nicht mehr als Leidender, sondern mit der Hingabe und Neugier eines Forschers zugewandt habe, weiß ich, dass ich weder allein bin noch verrückt. Und ich träume nicht." Christoph Ransmayr. Damen & Herren unter Wasser.
 
Bei mir, Zuhaus
Von: xxxxxxxxxxxxxx [mailto:xxxxxxxxxxxxxx]
Gesendet: Freitag, 12. Dezember xxxx 08:08
An: xxxxxxxxxxx
Betreff: Der Andreas träumt von seinem Lebensglück

Lieber Andreas,
ich muß gerade noch daran denken, wie Du hinten bei mir in meinem Auto saßt und Eva versuchtest dazu zu überreden mit Dir zusammen nach Hockenheim zu ziehen. Was mich betrifft, meintest Du irgendsoetwas wie Schizophrene gehören ins Obdachlosenasyl. Erst jetzt, wo ich die Freunschaft gekündigt habe, darf ich Dir das sagen. Vorher hast Du mich immer irgendwie so erpresst, daß ich es nicht sagen durfte. Grüße, Dein Ernie

-----Ursprüngliche Nachricht-----
Von: xxxxxxxxxxxxxx [mailto:xxxxxxxxxxxxxx]
Gesendet: Freitag, 12. Dezember xxxx 09:59
An: xxxxxxxxxxx Betreff: Der Andreas träumt von seinem Lebensglück


Hallo Ernie, ich lese z.Z. Trost der Philosophie von Boethius. Jener unterscheidet u.a. 2 Erkenntnisweisen, (siehe Anmerkung 1) die der Vorstellungskraft und eine andere, nämlich die der Einsicht (Vernunft). Mir hat das sehr viel zu sagen, ja, deckt sich mit meiner eigenen Gedanken. Ich gebe ein Beispiel. A liebt B und B sucht in A den Freund. Beide leben in der Vorstellung, also: A bildet sich ein, B würde seinen Wünschen entsprechen (geht mit ihm ins Bett etc.etc) und umgekehrt meint B, dass A beispielsweise der ideale Gesprächspartner wär, mit dem man, wie man sagt, über alles, Gott und die Welt spricht. Beiden gemeinsam ist, dass sie sich irren. Der eine wie der andere. Beide sind unglücklich. Beide suchen im anderen etwas, was jener nicht zu geben bereit, was zu geben jener nicht in der Lage ist. Beide sind, medizinisch gesprochen krank, dann, wenn das bloß Vorgestellte überhand nimmt, d.h. beide sich in ihren Vorstellungen voneinander verlieren, keine, wie Freud sagen würde, Realitätsprüfung vornehmen, nicht die Wahrheitsfrage stellen. In der Psychoanalyse sagt Renate, gehe es primär um Verzicht. Verzicht auf Vorstellung. Nicht auf Realität. Sage ich.

Anmerkung 1: Boethius unterscheidet 4 Erkenntnisweisen, 4 Sichtweisen von oder besser: auf das, was wahr(wirklich) ist. Neben der Vorstellungskraft und Einsicht sind dies die Sinneswahrnehmung sowie die höchste oder göttliche Einsicht. Die Sinneswahrnehmungen sind vorstellungsfrei. Wir, -Tiere und Pflanzen können Schmerz empfinden, ohne uns den oder dasjenige vorzustellen, welches das Leid möglicherweise auslöste. Für Boethius bilden die Erkenntnisweisen Stufen, dergestalt; „dass die höhere Kraft des Begreifens die niedere umspannt, während die niedere sich auf keine Weise zur höheren erheben kann.“ So gelangt erst die Vernunft zur Einsicht, dass Fragen wie: Gibt es ein Leben nach dem Tode, warum lässt Gott, wenn er gut ist, das Böse zu- dass solche und ähnliche Frage mit einem höheren oder göttlichen Bewusstsein verstehbar sind, indem jenes „mit einem Blick des Geistes gewissermaßen von der Form her das Ganze erschaut.“ So wenig die Vorstellungskraft an die Einsichten der Vernunft heranreicht, so wenig kann Vernunft begreifen, was es mit göttlicher Schau auf sich hat. Gottes Ratschlüsse heißt es im Volksmund, sind unerforschlich. Damit, mit dieser Gleichsetzung, dieser Übertragungsmöglichkeit sehen, erkennen wir mehr. Meinen wir, mehr zu sehen, sehen wir mehr. Was sich erhellt, ist ein mehr vom Urgestein unseres Denkens, von dem, wie wir wirklich „ticken“, oder anders: Das von Boethius Vorgetragene ist ein Zahnrad, ein Gedankenzahnrad. Ein großes.
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Der Text:
Boethius. Trost der Philosophie.
Übersetzt von Ernst Gegenschatz und Olof Gigon. 1995 Patmos Verlag GmbH & Co.KG / Artemis & Winkler Verlag, Düsseldorf.

Hinweis: Die Namen Ernie, Andreas etc. aus den beiden Mails sind frei gewählt, sind eine Erfindung des Autors.
 
© 2008 ERUNA (Lingenfeld) →
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