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Stand: 25. Januar 2009
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Ethik mit Schopenhauer
 
Ethik mit Schopenhauer
 
"Das Grundwesentliche, das Entschiedene, im Moralischen, wie im Intellektuellen und wie im Physischen, ist das ANGEBORENE: die Kunst kann überall nur nachhelfen. Jeder ist, was er ist, gleichsam „von Gottes Gnaden." Schopenhauer
 
Können Frauen funktional, technisch objekthaft-objektiv denken bzw. handeln und wenn ja, sind sie dann noch weiblich? Sind Männer beziehungsfähig oder „geht es“ bei ihnen im Grunde immer nur um das eine, nämlich um ein weiteres Objekt der Begierde? Können Schwule, Lesben und sonstige Normabweichler Verantwortung für andere übernehmen oder sind sie allesamt irgendwo und wie doch nur stehengebliebene „Kindsköpfe“, wie man so sagt, Anarchisten, für die nur Sex und Party von Interesse ist? usw. Für Schopenhauer ebenso wie für die Begründer der Religionen/der geistig spirituellen Orientierungen, ob Buddha oder Jesus Christus oder wie auch immer benannt, sind solche Überlegungen, solche Spekulationen völlig uninteressant. Für jene, wie auch für die Philosophen ist dergleichen bloßer Schein, Maja und es gilt, das, was wesentlich bestimmt, auch: was den einen vom anderen scheidet zu ergründen und/oder zu versprachlichen. Dem Schein stellen sie das Sein d.h. bezogen auf die obigen Fragestellungen: Den Menschen gegenüber. Zu was ist der Mensch fähig? Wie ist er beschaffen, was ist seine Art? Für Schopenhauer beispielsweise ist es keine Kunst egoistisch zu sein. Wir sind alle zuerst und zuletzt, bis zum Tode egoistisch. All unser Tun, Denken und Vorstellen ist geprägt und durchdrungen von dem, was wir wollen. Wollen ist nie grundlos, es ist immer ein Wollen, das aus dem Mangel, also dem Leiden, entspringt. Um ein x-beliebiges Beispiel zu geben: Wenn Göthe sagt/schreibt: „Ich liebe dich, mich reizt deine schöne Gestalt“, dann ist dieses Empfinden, dieses Wollen nichts Außer, oder Ungewöhnliches, im Gegenteil, es ist Natur und menschlich d.h. man muss ein Engel, also geschlechtslos sein um jene Art von wollen, die für Schopenhauer ebenso egoistisch d.h. bloß objektbezogen wie grundlegend ist, nicht zu kennen. Nochmal: Alles wollen, ist, so Schopenhauer, auf Objekte, auf wie bereits Todes oder Erlegtes gerichtet. So mit Welt umzugehen, ist natürlich oder Natur. Menschen bleiben jedoch beim bloßen „Wollen“ nicht stehen. Sie gehen weiter, ja, sie verlassen das allen gemeinsame Paradies, sie begeben sich ins Grenzgebiet, überschreiten (in eins damit?) die Grenze: Es wird entschieden und gehandelt. In den Worten Göthes fortfahrend, hieße dies zunächst: „Und bist Du nicht willig“. Dies ist das Grenzland. Hier fallen die Würfel in der ein oder anderen Weise. Hier wird’s spannend. Hier wird es sogar mysteriös und geheimnisvoll. Wir werden plötzlich konfrontiert oder handeln in einer Weise, wovon die Vernunft keine unmittelbare Rechenschaft geben kann, und dessen Gründe auf dem Weg der Erfahrung nicht auszumitteln sind. Bleiben wir bei unserem Beispiel: Ich liebe dich, mich reizt deine schöne Gestalt. Und bist Du nicht willig, heißt es weiter, dann brauch ich Gewalt oder ich lass los. Weil ich dich liebe, weil ich Mitleid mit dir hab. Spannend, interessant also ist, dass ich als Mensch fähig sein soll, fähig bin, inne zu werden, dass der Andere einen eigenen Willen hat, eigenes und womöglich anderes will, d.h. sein Wollen nicht mit meinem eins und identisch ist, dass er z.B. nicht gefressen werden will. Menschen sind dazu gefühlsmäßig in der Lage. Sie brauchen keine moralischen Anstalten, nicht die Kenntnis eines kategorischen Imperatives, um alternativ zum bloßen haben-wollen zu handeln. Mitleid, Sinn für Gerechtigkeit, oder Menschenliebe ist eine unleugbare Tatsache des menschlichen Bewusstseins, ist diesem wesentlich eigen, beruht nicht auf Voraussetzungen, Begriffen, Religionen, Dogmen, Mythen, Erziehung und Bildung, sondern ist ursprünglich und unmittelbar, liegt in der menschlichen Natur selbst, hält eben deshalb unter allen Verhältnissen Stich, und zeigt sich in allen Ländern und Zeiten.
Mitleid, Los-lassen, dem Anderen zu helfen ist, wie das Gegenteilige angeboren. Einen freien Willen, wie wir mit unseren Triebfedern umgehen, gibt es nicht. Die freie, nach keiner Seite hin beeinflusste Willensentscheidung ist eine längst explodierte Erfindung aus der Kindheit der Philosophie, mit welcher immerhin sich einige alte Weiber im Doktorhute noch schleppen mögen. Schopenhauer gibt sich also bei allem Wohlwollen zugleich auch pessimistisch. Die Mischung macht’s und die ist gegeben von Gottes Gnaden. Wir alle sind potentielle Verbrecher und Gewalttäter ebenso wie Heilige. Wir alle sind Buddha, doch nicht jeder ist auserwählt. Wir werden „bloß oder nur“, was wir sind. Jeder auf seine Weise, in seinem spezifisch-individuellen Mischungsverhältnis. Grundsätze, Einsicht helfen. Sie helfen dem, der wissen, inne werden will (kann), wie er ist. Unsere Grundsätze sind zugleich wie ein Reservoir in dem unsere Gesinnung aufbewahrt wird, um, wenn der Fall der Anwendung kommt, durch Ableitungskanäle dahin zu fließen. Grundsätze stärken. Nicht mehr, nicht weniger. Einen Menschen zum Guten umerziehen zu wollen ist aus dem Gesagten folgernd ebenso sinnlos wie das Gegenteilige: Man kann nicht das Ziel verändern, dem der Wille zustrebt, sondern nur den Weg, den er dahin einschlägt…Man kann dem Egoisten zeigen, dass er durch Aufgeben kleiner Vorteile größere erlangen wird; dem Boshaften, dass die Verursachung fremder Leiden größere auf ihn selbst bringen wird. Aber den Egoismus selbst, die Bosheit selbst wird man Keinem ausreden; so wenig, wie der Katze ihre Neigung zum Mausen.

That’s Schopenhauer. *grins*

Schopenhauer sieht seine Welt,- und Menschensicht in nahezu allen Religionen, namentlich dem Christentum und dem Buddhismus wiedergespiegelt. An eine Besserung der gegebenen menschlichen Natur jedoch durch Religionszugehörigkeit glaubt er indes nicht. So ist beispielsweise die Moral des Christentums viel höherer Art, als die der übrigen Religionen, die jemals in Europa aufgetreten sind: aber wer deshalb glauben wollte, dass die europäische Moral sich in eben dem Maße verbessert hätte und jetzt wenigstens unter den gleichzeitigen excellierte, den würde man nicht nur bald überführen können, dass unter Mohammedanern…Hindu und Buddhisten mindestens ebensoviel Redlichkeit, Treue, Toleranz, Sanftmut, Wohltätigkeit, Edelmut und Selbstverleugnung gefunden wird, als unter den christlichen Völkern; sondern sogar würde das lange Verzeichnis unmenschlicher Grausamkeiten, die das Christentum begleitet haben, in den zahlreichen Religionskriegen, den unverantwortlichen Kreuzzügen, in der Ausrottung eines großen Teiles der Ureinwohner Amerikas und Bevölkerung dieses Weltteiles mit aus Afrika herangeschleppten, ohne Recht, ohne den Schein des Rechts, ihren Familien, ihrem Vaterlande, ihrem Weltteil entrissen und zu endloser Zuchthausarbeit verdammten Negersklaven, in den unermüdlichen Ketzerverfolgungen und himmelschreienden Inquisitionsgerichten, in der Bartholomäusnacht, in der Hinrichtung von 18 000 Niederländern durch Alba, u.s.w.u.s.w. - eher einen Ausschlag zu Ungunsten des Christentums besorgen lassen. Die Religionszugehörigkeit sagt demnach nichts aus über den Charakter des Menschen. Man wird, der man ist, in jeder und trotz jeder Religion, denn zu wirklicher Besserung wäre erfordert, dass man die ganze Art der Empfänglichkeit für Motive umwandelte, also z.B. machte, dass dem Einen fremdes Leiden als solches nicht mehr gleichgültig, dem Anderen die Verursachung desselben nicht mehr Genuß wäre, oder einem Dritten nicht jede, selbst die geringste Vermehrung des eigenen Wohlseins alle Motive anderer Art weit überwöge und unwirksam machte. Dies ist viel gewisser unmöglich und unwirksam, als dass man Blei in Gold verwandeln könnte. Denn es würde erfordern, dass man den Menschen gleichsam das Herz im Leibe umkehrte, sein tief Innerstes umschüfe. Es müsste oder muss ein Wunder geschehen, wenn z.B. aus einem bösen, gemeingefährlichen Menschen ein guter werden soll und umgekehrt in allen Schattierungen und möglichen Stufungen. Die einzig menschlich mögliche Hilfe oder alles, was man zu tun vermag, ist, dass man den KOPF aufhellt, die EINSICHT berichtigt, den Menschen zu einer richtigern Auffassung des objektiv Vorhandenen, der wahren Verhältnisse des Lebens bringt. Hierdurch wird aber nichts weiter erreicht, als dass die Beschaffenheit seines Willens sich konsequenter, deutlicher und entschiedener an den Tag legt, sich unverfälscht ausspricht. Denn, wie manche gute Handlungen im Grunde auf falschen Motiven, auf wohlgemeinten Vorspiegelungen eines dadurch in dieser, oder jener Welt zu erlangenden eigenen Vorteils beruhen, so beruhen auch manche Missetaten bloß auf falscher Erkenntnis der menschlichen Lebensverhältnisse. Die Einsicht bzw. die Annahme von dem, was und wie ich in Wahrheit bin, befreit nur den Willen, macht mich frei, doch schafft mich nicht um. Die Einsicht festigt uns, lässt uns sicher und entschieden werden, sie schärft den Sinn, dafür, uns von Anderen, deren schicksalhaftem so-bin-ich Sein zu unterscheiden. Auf DIESEM UNTERSCHIEDE beruhen zuletzt die Grade der Moralität oder Immoralität, d.h. der Gerechtigkeit und Menschenliebe, wie auch ihres Gegenteils. Die immer reicher werdende Erinnerung der in dieser Hinsicht bedeutsamen Handlungen vollendet mehr und mehr das Bild unseres Charakters, die wahre Bekanntschaft mit uns selbst. Aus dieser erwächst Zufriedenheit oder Unzufriedenheit mit uns, mit dem, was wir SIND, je nachdem Egoismus, Bosheit oder Mitleid vorgewaltet haben, d.h. je nachdem der Unterschied, den wir zwischen unserer Person und den übrigen gemacht haben, größer oder kleiner gewesen ist. Für jemanden, für den alles oder zumeist doch wieder bloß Objekt der Begierde, das Leben im Grunde doch bloß Sex und Party oder bloßes Bauchgefühl ist, gibt es keine Rettung. Es sind nur äußere Korrekturen, Verhüllungen möglich, die umso wirkungsvoller sind, je mehr die Eigenart, das Mischungsverhältnis bekannt/erkannt wurde. Schopenhauer sieht in diesem Aufklärungs,- oder Erhellungsprozess allgemeiner und grundsätzlicher gefasst jedoch ein über den Tod des Jeweiligen hinausreichendes, ich nenn es: evolutionäres Prinzip, doch zum Guten zu gelangen, heil, heilig zu werden. Der einzige Weg des Heils, schreibt er, ist dieser, dass der Wille ungehindert erscheine, um in dieser Erscheinung sein eigenes Wesen erkennen zu können…Die Natur führt eben den Willen zum Lichte, weil er nur am Lichte seine Erlösung finden kann. -Auch das *grins* ist Schopenhauer. Schopenhauer, der Dunkle.

- keine weiteren Gedanken -
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Bibliographischer Nachweis:

Dem Text liegen folgende Schopenhauer-Editionen zugrunde:

Sämtliche Werke
Herausgegeben von Arthur Hübscher
Dritte Auflage. Wiesbaden 1972

Werke in fünf Bänden
Nach den Ausgaben letzter Hand herausgegeben von Ludger Lütkehaus
Zürich 1988
 
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