LITERATUR:Bücher(1-2) → Gedanken ↓ Geschichten → |
Stand: 03. Juni 2008 |
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Tagebuch mit dj hildegard (19.05-24.05.08) |
17.09.2008: Gracian’s Handorakel und Kunst der Weltklugheit →
06.08.2008: Konfuzius hilft → 15.07.2008: Michel de Montaignes Essais → 19.06.2008: Buddha redet → 03.06.2008: Tagebuch mit dj hildegard (19.05-24.05.08) ↓ 14.05.2008: Schwule Mädchen → 08.05.2008: Assoziationen von der Couch (3) → 24.04.2008: Flüchtige Gedanken zum Liebeskonzept von Platon → 23.03.2008: Gedanken zu Religion und Philosophie → 12.02.2007: Worauf es ankommt - oder: Die Bejahung des Wollens → 08.02.2007: Liebe und Zeit - Zeit und Liebe → 04.02.2007: Leicht ist es nicht - partynight → 28.01.2007: Die Wahrheit - sonst nichts? (2) → 27.01.2007: Die Wahrheit - sonst nichts? (1) → 21.01.2007: Farbe bekennen oder: Der abstrakte Anspruch → |
Tagebuch mit dj hildegard Hildegard von Bingen: Über die Liebe |
Wiederum hörte ich vom Himmel eine Stimme, die sprach: Alles was Gott gewirkt hat, hat ER in Liebe, in Demut und in Friede vollendet, damit auch der Mensch die Liebe hochschätzt, nach der die Demut strebt und Friede hält, um nicht mit dem zugrundezugehen, der diese Tugend sofort bei seinem Entstehen verhöhnte. Sollte es so einfach sein, ist alles so einfach? Auf der einen Seite, jene, die kindlich naiv das wollen, von dem Hilde spricht und ansonsten die anderen, die darüber lachen, das Ganze, diesen Glauben (mehr ist es nicht) nicht ernst nehmen, nicht ernst nehmen können, weil er so einfach, so kindlich naiv, so unrealistisch, so weltfremd ist? Und was ist mit den Buntgemischten? Jenen, die hören und doch nicht hören, die anderes tun? Oder den Sympathieträchtigen, den Sympathisanten? Den Nichtböswilligen, aber Eigenwilligen? Den Querulanten und Spekulanten auch und gerade im Reich des Geistes? Was ist mit jenen, die nicht „drüberstehen“, die nicht lächeln, jenen, die sich neutral verhalten? Verhalten wollen? Ist das überhaupt möglich? Kann man sich in einem Schachspiel neutral verhalten? Sympathien mal für die eine, mal für die andere Seite entwickeln? Als Spieler? Faust sagt: Die Botschaft hör’ ich wohl, allein mir fehlt der Glaube. In der Tat. Man muss sich nicht mit der Kritik von Nietzsche am Christentum auseinandersetzen um wahr/wahnhaft urteilen zu können. Es reicht ein Blick, ein kurzer Zapp in die Nachrichten um zu wissen, zu erfahren, wie es um Friede, Liebe und Demut in unserer Welt steht. Trotzdem. Gleichwohl. Gerade deshalb. Sagen die einen, meinen die anderen. Und am Ende wird abgerechnet. Oder? |
…denn ihn berührte keine Sünde, weil er ganz in der Gottheit verwurzelt war. Aber einige, die ihn sahen und mit ihm gingen, trockneten aus und fielen ab wie trockene Blätter. Er jedoch ließ an ihrer Stelle andere hervorsprießen. Er beriet sich nicht mit irgendeinem Menschen, wie er Seine Feinde überwinden sollte, die aus ihrem eigenen Willen von ihm abgefallen waren. etc.etc. Faktisch könnte man/ich über jeden Satz des Buches meditieren. Dann würde das Studium, das Durchlesen wollen der kleinen Lektüre Monate in Anspruch nehmen. Könnte man machen. Ich tu es nicht. Ich will noch anderes lesen. Gegenwartsliteratur, philosophisch inspiriertes Gedankengut, auch naturwissenschaftliche Erkenntnisse will ich mir nicht entgehen lassen. Die Bücherliste ist lang, die ungeschriebene unendlich, auf alle Fälle viel, um einiges länger als das, was konkret ansteht d.i. sofort und gleich bestellt, ausgeliehen, aus dem Buchladen, Bücherschrank geholt werden könnte. Geholt werden muss. Zurück zu Hilde. Das Christentum, und ich denke, das gilt für alle, die den spirituellen Weg gehen, ist etwas für Ausnahmemenschen. Es heißt ja auch: Viele sind berufen, doch nur wenige auserwählt. Da darf und kann man sich nichts vormachen. Die drinnen sind, kommen nicht nach draußen und die von draußen, nicht nach drinnen. Von sich aus. Mit eigener Kraft. Es heißt: Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Dieser Weg kann bloß ein guter oder schlechter sein. So passt beides zusammen. Da ist der Mensch, der will, der rein und dazugehören will, der jedoch nicht darüber bestimmt oder bestimmen kann, ob die Tür offen oder doch geschlossen ist und bleibt. Im Zen heißt es: Die Tür ist offen. Schwierig. Schwierig, wie das erste Bild, das Hildegard verwendet. Ist es nicht das „Schicksal“ aller Blätter zu welken, abzutrocknen und abzufallen? So muss man die Stelle nicht lesen. Gewiss. Man muss das Ganze nicht so in die Tiefe denken. Damit wird die Poesie, die Leichtigkeit mit der Hildegard schreibt und vergleicht zerstört. Das Ganze will schnell, im richtigen Lesetempo wahrgenommen werden. Der Sinn erschließt sich sofort und unmittelbar. Er will nicht im Nachhinein erst ergründet und so aller erst verstanden werden. Das gefällt mir. Gleich aus mehreren Gründen u.a. auch deshalb, weil mir ist, als hebe, bringe die Reflexion das hervor, was gar nicht gemeint ist oder war. Nicht von Hilde. |
Auch bist Du ein ruchloses und nächtiges Scheusal und das Zischen des Satans, und nichts anderes ist dein Sehnen. Im Hochmut deines Geistes behauptest du: ‚Ich will mehr Völker an Zahl als Sand am Meere an mich ziehen.’ Und doch gehst du zugrunde. Ich hingegen, ich wirke bei Tag und bei Nacht die Tugend des Gleichmuts und der guten Tat… ich bin die liebenswürdige Freundin am Throne Gottes, und Gott verbirgt mir keine Entscheidung. Das königliche Brautgemach, es ist mein, und alles, was Gott gehört, gehört auch mir. Und wo der Sohn Gottes der Menschen Sünden mit Seinem Gewande tilgt, da verbinde ich die Wunden mit mildestem Linnen. Du aber solltest dich schämen, da du den besseren Teil nicht gefunden hast. Vorhang auf und Vorhang zu. Es wird weiter gefochten. Über unseren Köpfen. Über uns. Über uns agieren, kämpfen die Veredelungsritter. Gleich. Hier die Gute, die Freundin am Throne Gottes, wie sie sich nennt und auf der anderen Seite ein Verwandlungskünstler, einer, der von sich sagt: Ich bin Dionysos. Auch er will die Macht, will, dass es zwei Zeitenrechnungen gebe, eine vor ihm und eine andere, eine moderne, die mit ihm, besser: durch ihn beginnt. Auf der einen Seite formiert und artikuliert sich die apollinisch gestimmte, in sich ruhende, unekstatisch agierende Seherin, vom Volk geliebt und verehrt, von unserer heiligen katholischen Kirche geschätzt und mit Respekt behandelt. Hier eine Frau und auf der gegenüberliegenden Seite, noch verborgen, jener mit dem Riesenschnäuzer im sonst glatt rasierten Kindergesicht. Es geht los. Das Schauspiel beginnt: Der Begriff „Gott“ erfunden als Gegensatz-Begriff zum Leben, - in ihm alles Schädliche, Vergiftende, Verleumderische, die ganze Todfeindschaft gegen das Leben in eine entsetzliche Einheit gebracht!...Der Begriff „Seele“, „Geist“, zuletzt gar noch „unsterbliche Seele“, erfunden, um den Leib zu verachten, um ihn krank - „heilig“ - zu machen, um allen Dingen, die den Ernst im Leben verdienen, den Fragen von Nahrung, Wohnung, geistiger Diät, Krankenbehandlung, Reinlichkeit, Wetter, einen schauerlichen Leichtsinn entgegenzubringen! Wir verhalten uns bewegungslos. Hier geht es offensichtlich um anderes. Der Hilde, unserer Hilde vorzuwerfen, sie wüsste nichts, besser: sie missachte die Bedeutung von Nahrung oder hätte keinen Sinn für Krankheit gehabt etc. etc. ist Schwachsinn. Worum geht’s. Worum geht’s wirklich? - Hat man mich verstanden? - Dionysos gegen den Gekreuzigten… Nun ist alles ruhig und leer. Kein Kampf mehr. Keine Geschichte. Vielleicht kämpfen sie weiter. Unsichtbar geworden. Für uns. Es war nur ein kurzes Aufblinken. Für einen Moment war uns, als verstünden wir, was die Großen, die Veredelten, die Edlen drauf haben, was sie „blicken“, wie sie das Ganze, -alles, wahrnehmen oder/und interpretieren. Wie sicher, gesichert sie sind. Zwerge, auf den Rücken von Riesen, von Göttern; verankert, verwurzelt, vereint, eins im Göttlichen, mit Gott, dem Dunklen, dem Klaren-Hellen, dem Bewusstsein Verschlossenem. Uns verschlossenem, unzugänglichem. Wir können’s bloß glauben, uns amüsieren, es sein lassen, was anderes tun. Jetzt. |
Und möchte irgendein Mensch in dieser Überflutung nach Gott verlangen und ihn umarmen, dann werden ihn oft viele Sturzbäche und Ströme begraben, um ihn von dieser Absicht abzubringen; und zwar bald durch sein Fleisch, und bald durch eine Einladung der Welt. Doch wenn der himmlische Vater seiht, ergreift Er ‚extendit’ die Rute und schlägt diesen Sohn, damit er nicht von der Süßigkeit der Einbildung kostet, sondern des inneren Menschen gewahr wird. Und so reibt sich dieser Mensch mit großen Mühen auf. Jetzt, teurer Sohn, umarme - wenn du dieser Sohn bist - die liebreiche Mutter, nämlich die Maßhaltung. Und sie wird dich derart bessern, dass du dein Fleisch mit Barmherzigkeit salbst, damit es nicht dahinsiecht, und du auch den inneren Menschen küsst. Und so verlange mit aufmerksamer Sehnsucht nach Gott. Und er wird dich immer behüten, so dass dich die Ströme nicht ganz bedecken. Firlefanz. Tischrücken. Heia, eia popaia. Hier ist es also, hier wird sie ausgesprochen, die viel gerühmt, geschmäht, analysiert, bedichtete christliche Liebe, die weltverneinend, die weltenentsagende. Jene Liebe, die kein „bloßes“ Objekt kennt, keine bloße Oberfläche, die begehrt wird, der man mit „Haut und Haar“ verfällt, die man haben will, für die man auch bezahlt, bezahlen muss, zu bezahlen bereit ist. Das ist nicht ganz richtig, denn die Süßigkeit der Einbildung ist etwas, das Christen und wohl alle Menschen kennen. Kennen vielleicht nicht. Nicht alle unterscheiden. Hier Schein und dort Sein. Seltsam das Vermittlungsbestreben von Hilde. Während der himmliche Vater kein Erbarmen kennt mit denen, die er liebt und gnadenlos -wie? zum rechten, richtigen Weg zwingt, nämlich den inneren Menschen gewahr zu werden, ermöglicht die liebreiche Mutter oder abstrakt formuliert die Maßhaltung, auch und ohne die Peitsche? Erfahrung den inneren Menschen sogar zu küssen. Was Hilde rät, ist, die Balance zu finden, zu halten. In allem. Selbst bei der Sehnsucht nach Gott, dem, was die Welt und alles im Inneren zusammenhält. Jene soll aufmerksam, hellwach, konzentriert d.h. auch: mit einer Art innewohnender Distanz, einem sich unterscheiden von dem, worauf man/ich sich zugleich bezieht, realisiert werden. So in etwa, verstehe ich das hier Zitierte. |
Dieses Gedicht, diese Studie von oder über das, was Christentum ist oder sein kann, halte ich für genial. Genial im Sinne, so, wie Schopenhauer „Genialität“ versteht. Das Beschriebene ist in sich ebenso schlüssig wie wertvoll und andererseits nur wenigen zugänglich. Es ist leicht zu verstehen und doch nur wenigen begreiflich. Es ist ein Gedicht. Was Hildegard hier schuf, ist Poesie, die zugleich durch und durch wahr ist. So könnte man, ins Schwärmen gekommen, schreiben. Es ist Poesie, die zugleich, also phantasievoll, die Idee des Christentum’s oder besser(genauer): den Erleuchtungsweg spirituell orientierter Menschen wiedergibt. Beides darf und braucht man nicht gegeneinander auszuspielen. Nicht bei diesem Gedicht. Das eine ist die Flamme, das andere die spezifisch christliche Farbgebung oder Einfärbung. Mit dem einen können sich alle Erleuchtungsuchenden, alle, die mit der Realisierung ihrer Buddhanatur ernstmachen, identifizieren und mit dem anderen jene, die christlich gestimmt, erzogen, verwurzelt sind. Das ist nicht richtig formuliert. Profitieren oder sich wieder finden, im Sinne von: "So isses", können alle. Alle, denen an Erleuchtung gelegen ist, die diesen Weg gehen. Ich lass das mal so stehen. Alles. :-) |
Ich tue dir kein Unrecht ohne den Willen Gottes und das Seelenheil deiner Schwester, sondern bitte, dass ich durch sie getröstet werde und sie durch mich. Ich widerspreche nicht der Anordnung Gottes. Gott schenke dir Segen vom Tau des Himmels und alle Engelchöre mögen dich loben, wenn du auf mich, die Dienerin Gottes, hörst und den Willen Gottes in dieser Angelegenheit erfüllst. Einleitend schreibt der Herausgeber zu diesem Text: Es gibt nur einen Menschen, von dem sich mit Sicherheit sagen lässt, dass Hildegard in einer liebevollen, persönlichen Beziehung stand, eine Nonne ihres Konvents, die adelige Richadis von State. Als Richardis aber zur Äbtissin des Stiftes von Bassum gewählt wurde, bemühte sich die Seherin verzweifelt, jedoch erfolglos, darum, sie in ihrem Konvent behalten zu können. Warum, so könnte man cool fragen, konnte jemand mit dem Format einer Hildegard von Bingen, die schon zeitlebens populär und Vorbild gewesen ist, warum konnte und wollte sie nicht auch diese Bindung zu ihrer Mitschwester lösen? Wie wir vom Herausgeber erfahren, hat sich Hildegard sogar an den Papst gewand mit der Bitte Schwester Richardis nicht aus ihrem Kloster zu entfernen, zumal Gott selbst ihr in Visionen bekundete, dass dies recht und gut sei. Warum diese Anhänglichkeit, diese weltliche Verunreinigung? Warum konnte sie sich von allem sonstigen lossagen? Ist das überhaupt nötig? Sich von allem lossagen? Spekulationen und Fragen eröffnen sich. Wie einfach und klar formuliert Hildegard ihr Nein beispielsweise zu Ehe und Mutterschaft. Wie treffend und leicht schreibt sie: Es ist schon hart, zu entsagen, all dem, was an Genuss uns bietet: die Frucht…Bräutlich verbunden sind wir mit dir, in deinem Blut, die ehelichen Bindung mit einem Manne, wir haben sie verschmäht, um dich zu erwählen. Sohn Gottes. Auf dergleichen, wie gesagt konnte, wollte Hildegard verzichten. Auf ihre Mitschwester nicht. Das sollte selbst der Papst wissen und, dass Gott selbst auf ihrer, der beiden, Richardis und Hildegards Seite stand. Die katholische Kirche hat sich nicht darauf eingelassen. Schwierig. |