LITERATUR:Bücher(1-2) → Gedanken ↓ Geschichten →
Stand: 27. Juli 2008
übersicht: gedanken →
Michel de Montaignes Essais
 
Michel de Montaignes Essais

Montaigne, die Essais Montaigne habe ich zuletzt vor 10 Jahren gelesen. Alle seine Essays, in einer, wie ich finde, der Gegenwart angeglichenen Übertragung ins Deutsche. Damals habe ich mit Stift gelesen und alles, was mich inspiriert hat seitlich, am Rand, angestrichen. Seltsam. Seltsam, Angestrichenes von vor 10 Jahren zu lesen. Was war da spannend, was inspirierend? Ging es überhaupt um Inspiration? War nicht anderes bedeutsamer, war anderes Grund für diese und jene Anstreichung? Vielleicht war der Strich eine Art Replik an oder für einen Freund oder Freundin, eine Art Ersatz für eine selbst zu findende, zu gebende Antwort. Trotzdem. Es sind alle Essays durchgelesen worden. Demnach hatte, war dieses Tun von Bedeutung. Hat es mich weitergebracht? War es nützlich? Was ist haften geblieben? Sind es mehr als 5, sind es weniger denn 10 zitierfähige Stellen, die parat, hervorsprudeln, wenn es gilt, zu sagen, zu deuten, was es mit dem und jenem auf sich, was es mit dem und jenem zu tun hat?

Montaigne, die Essais (2) So muss man nicht lesen. So braucht man nicht urteilen. Montaigne, besser: auch Montaigne wirkt mehr unterhalb als innerhalb des Intellektes. Auch er ist ein „Einsickerer“, einer, der dich, mich in Lesestimmung versetzt, dergestalt, dass Du sicher bist: Wenn jetzt das Telefon klingelt, bleibe ich unerreichbar, wird mein Telefonbeantworter aktiviert. Tatsächlich. Montaigne vermittelt dir, vermittelt mir den Unterschied zwischen einer Zeit, die einem selbst gehört und jener, die für andere, die gemietet, die verkauft ist. Das sagt er nicht, das vermittelt er. Als Gefühl, genauer: Als Lesestimmung. Das ist eine Art Hypnose. Nein, es ist keine Hypnose. Der Wille wird nicht eliminiert. Im Gegenteil. Wir sind hellwach, apollinisch gestimmt und ruhen. Wir ruhen in uns und hören. Lesen, was Montaigne sagt, was- wie Montaigne zu uns spricht. Er spricht im Modus der Freundschaft. Er belehrt, er doziert nicht. Montaigne erzählt. Von dem, von jenem. Er kommt vom 100dersten ins 1000enste. Was heißt das? Nun, es gibt ein Thema und jenes wird variiert. So betrachtet, so gesehen, es wird jener, es wird dieser hierzu zitiert, auf eigentümliche Weise, versteht sich. Hinter all dem Gesagt, Geschriebenen stehen 100derte von weiteren Quellen und Möglichkeiten das Thema zu verdeutlichen, helfend, sagen zu können, was Montaigne aufschreiben wollte. Und das ist spannend? Ja. Es ist der Fluss. Da bleibt nichts haften. Scheinbar. Da wird geändert, umgeschrieben, umcodiert an anderer Stelle. Auch Montaigne ist ein Untergrund - ja, was? Wie soll man ihn nennen? Wie bezeichnen? Wenn wir später für uns und ungestört nachsinnen, wissen wir, Montaigne hat dies, hat das gesagt. Es ist plötzlich wieder da. Es ist in uns.

Montaigne, die Essais (3) Montaigne, die Essais (4) Es gibt Menschen, es soll sie geben, die nur ein Buch z.B. die Bibel lesen. Diese studieren. Jeden Tag. Immer wieder. Die Lektüre nützt sich nicht ab. Sie wird nicht langweilig, wie ein Hit, der, egal wie eingängig er ist, irgendwann seine Macht verliert, nicht mehr gemocht wird. Irgendwie. Man denkt da nicht nach. Man weiß nicht, woran das liegt. Es kommen andere. Die sind anders, die sind nicht besser; auch ihnen ist das gleiche Schicksal beschieden.

Montaigne kann man, Du, ich immer wieder lesen. Er ist immer wieder neu, immer wieder anders. Es ist anderes, was interessiert, was anspricht. Mal sind es Sätze, mal ist es die Stimmung, die Lesehaltung, die uns, dich, mich an Montaigne bindet. Über Wochen. Hernach stellen, legen wir ihn weg. Packen ihn zurück in unsere Bücherecke. Mit anderen Worten: Das von Montaigne Geschaffene ist kein Hit, aber auch keine Bibel. Es ist was dazwischen. Es ist beides. Solange wir Montaigne lesen, ist es so, wie wenn wir unseren Lieblingshit im Radio oder sonst wo aufgelegt bekommen. Wir stellen die Lautstärke höher, wir sind konzentrierter, wacher. Wir hören Montaigne sprechen. Es ist tatsächlich so. Immer wieder. So, wie wenn andere die Bibel lesen, erfahren, hören wir Neues, zuvor Unbekanntes da Unerkanntes. Die Hits von Montaigne, seine Essais, nutzen sich nicht ab. Wir können sie immer wieder hören, immer wieder lesen. Trotzdem wollen wir nicht jeden Tag Montaigne lesen. Eine Zeitlang ja. Eine Zeitlang, z.B. ein, zwei Wochen. Das reicht. Dann ist es genug. Bis zum nächsten Mal. In 10 Jahren vielleicht. Bestimmt.

Montaigne wirkt in der Tiefe. Da, wo wir die wenigsten hinlassen. Da soll, da kann, nur da will er wirksam sein dürfen. Ja, er soll, Du kannst, Du darfst. Du.

___________________________________________
Der Text:
Michel de Montaigne. Essais. Erste moderne Gesamtübersetzung von Hans Stilettt.
Eichborn GmbH&Co.Verlag KG. Frankfurt am Main 1998.

Links:
Das Chateau de Montaigne →. Ein schönes, inspiriend-melancholisch-leicht traurig stimmendes Bild mit dem "berühmten" Turm rechts.
 
© 2008 ERUNA (Lingenfeld) →
nach oben ↑